Ein Politiker in Delmenhorst

Ansichten, Vorschläge, Meinungen und alles andere was einem Politiker in Delmenhorst einfällt.

Montag, 23. September 2013

Wir haben verkackt.

Wir Piraten haben die Bundestagwahl 2013 verkackt. So drastisch wie die Formulierung ist, so richtig ist diese. Wir haben es weder bei unseren Kernthemen Netze, Bürgerrechte, Freiheit, Transparenz und Bürgerbeteiligung noch mit den anderen Themen wie Drogenpolitik oder BGE geschafft die Wählerinnen und Wähler von unserer Politik zu überzeugen. Auch wenn wir einen Zuwachs von 13% der abgegebenen Stimmen erzielen konnten, haben wir doch unser Ziel, den Einzug in den Bundestag, weit verfehlt.

Und jetzt den Wählern und deren mangelnden Mut zum Wechsel die Schuld zu geben und sich wieder bequem im "Ich hab's doch immer gesagt"-Modus zurückzufallen greift zu kurz. Wir haben es nämlich aus mehreren Gründen nicht geschafft, die wir ganz klar analysieren sollten. 

1. Wir sind nicht kampagnenfähig. 
Die Piraten bekommen örtlich und zeitlich begrenzte Aktionen ganz gut hin. Für bundesweit koordinierte Aktionen fehlt es uns zum einen am Personal, dass diese plant und organisiert und zum anderen am Willen auch einfach mal Dinge mitzumachen, die man sich nicht selber ausgedacht hat. Hinzu kommt, dass wir für eine Mitmachpartei unser Potential einfach immer wieder schlicht im Wiki vergraben. Irgendwo findet jeder die Unterlagen, nur wann und wo?

2. Wir vertrauen nicht
Egal wer etwas in der Partei anfängt oder gar Verantwortung trägt, immer wird demjenigen mit Misstrauen begegnet. Argwöhnisch wird auf den kleinsten Fehler gewartet, die Shitstormkanone ist immer geladen. Fleißig unterstützt von den Popcornpiraten und gewissen Redakteuren beim Spiegel. 

3. Wir haben keine Strukturen
Auch vier Jahre nach dem Achtungserfolg bei der Bundestagswahl 2009 haben wir es nicht hinbekommen nennenswerte Strukturen zu schaffen. Der Großteil der Arbeit findet weitgehend unkoordiniert statt. Zuviel Verantwortung wird auf Personen statt auf Teams gelegt. Und da, wo wir Servicegruppen (Presse) haben, wird ständig an der Arbeit herumgeschraubt und von aussen gesteuert. So bekommen wir keine selbstständig arbeitenden Strukturen hin. Wir müssen dringend Aufgaben von Personen trennen und Strukturen von den Wahlperioden der jeweiligen Vorstände entkoppeln.

4. Wir reden zuviel übereinander und zu wenig miteinander
Twitter, Facebook und Google+ eignen sich hervorragend dazu, schnell und unkompliziert mal eben jemanden im vorübergehen ins Knie zu schießen. Das geht schnell, kostet wenig bis nichts und ist meistens sehr effektiv. Das was in SPD-Ortsvereinen dem anderen auf dem Klo zugeraunt wird, steht bei uns in Blogs und einen Tag später in der Zeitung.

5. Wir akzeptieren uns nicht gegenseitig
Das was wir immer wieder von der Gesellschaft einfordern, nämlich jeden zu nehmen wie er ist, leben wir nicht selber. Wir bei gewissen Gruppen in der Partei nicht ins Raster passt wird gnadenlos und auf allen Kanälen niedergemacht. Warum akzeptieren wir nicht einfach, dass es in der Partei Piraten gibt, die mit Genderpolitik oder dem BGE nichts anfangen können, die aber dafür wahre Bürgerrechtsaktivisten sind?

Dieses sind jetzt mal nur fünf Gründe, es gibt sicherlich noch einige mehr. Aber ich glaube es wird schnell klar, dass wir nur dann auf Dauer glaubwürdig sind, wenn wir die Dinge, die wir fordern auch leben. Die Transparenzkeule herauszuholen um andere bloß zustellen, selber aber Transparenz eben nicht leben macht uns alle unglaubwürdig.
Bürgerbeteiligung und Basisdemokratie zu fordern, aber auf Parteitagen Beschlüsse von den 2-3% der Mitglieder fällen zu lassen, die es sich leisten können an einem Parteitag teilzunehmen oder zufällig in der Nähe wohnen ist auch nicht förderlich.

Was müssen wir jetzt ändern?

1. Definieren wir, was wir eigentlich wollen
Noch immer gibt es keine klare Definition, was wir eigentlich unter der immer wieder geforderten Transparenz verstehen. Hier sollten wir uns endlich auf eine definierte Begrifflichkeit einigen. Dann weiß jeder Amts- oder Mandatsträger woran er ist.

2. Schaffen wir endlich Strukturen
Wir müssen endlich dahin kommen, dass Aufgaben auf allen Ebenen klar definiert sind und wir Gruppen haben, die diese Aufgaben erledigen, einfach abarbeiten. Diese Gruppen brauchen das Vertrauen der sie beauftragenden und sollten die volle Rückendeckung der Verantwortlichen haben. Interne Konflikte sind intern und bleiben intern bis sie gelöst werden. Piraten sprechen miteinander und nicht übereinander.

3. Vertrauen wir uns
Stellen wir uns einfach mal vor, dass derjenige, der eine Aufgabe übernommen hat, auch weiß was er tut und vertrauen wir ihm. Lassen wir doch Leute einfach mal, ganz im piratigen Sinne machen und verfolgen wir die Tätigkeiten wohlwollend und nicht kritisch. Halten wir uns mit abfälligen Kommentaren auf Twitter einfach mal zurück, sondern bieten wir Hilfe an, wenn wir der Meinung sind, dass sie benötigt wird.

4. Erklären wir uns
Wollen wir unsere Kernthemen vorantreiben oder eine Vollprogrammpartei werden? Wollen wir die Lehren aus der schallenden Backpfeife vom 22.09.2013 ziehen oder sind nur wieder die anderen Schuld? Und wenn wir unser Programm weiter erweitern wollen, wollen wir grundlegende Themen weiterhin buntgemischt auf Programmparteitagen bearbeiten oder wollen wir vielleicht in Zukunft mal themenbezogene Kongresse machen und uns wirklich einmal Standpunkte, z.B. zur Gesundheits- oder Aussenpolitik erarbeiten?

5. Legen wir die Basis
Nächstes Jahr finden in Deutschland 10 Kommunalwahlen statt. In den Kommunen vor Ort wird der Grundstein für erfolgreiche und nachhaltige Politik gelegt. Wir sollten anstreben hier 400-500 Mandatsträger zu stellen. Diese Piraten müssen gefunden, geschult und unterstützt werden. Damit müssen wir jetzt anfangen. Die Kandidaten für die Bundestagswahl sind hier sicherlich die ersten Ansprechpartner, aber wir brauchen noch viel mehr gute Leute in den Kommunalparlamenten. Meines Erachtens sollte diese Aufgabe die allerhöchste Priorität haben und daher als Stabsstelle beim Bundesvorstand angesiedelt werden. Lasst uns doch einmal das mit der Strategie machen. 

Wir sind noch lange nicht am Ende - aber wir müssen uns immer wieder selbst hinterfragen und unser Verhalten nachjustieren. Das setzt Selbstreflektion voraus. Seien wir dazu bereit!

Montag, 16. September 2013

Zur Wahlbeteiligung - Ein Vorschlag

"Es ist mir egal wenn nur noch 10% zur Wahl gehen. Hauptsache die wählen dann die SPD. Dann ist alles gut"  Dieses ist ein Originalzitat einer (zukünftigen) SPD MdB von 2011. Und hier liegt meines Erachtens sowohl das Problem, aber auch die Lösung der Frage der niedrigen Wahlbeteiligung.

Wenn sich 30-40% der wahlberechtigten Deutschen von den Parteien nicht mehr vertreten fühlen und daher nicht mehr zur Wahl gehen, ist dieses ein Zeichen, dass etwas in Deutschland nicht mehr im Lot ist und geändert werden muss. Da die Parteien aber durch die niedrige Wahlbeteiligung direkt keine Nachteile haben (die Wahlkampfkostenerstattung mal aussen vor gelassen, da gibt es ja in allen Parteien kreative Köpfe, die dieses kompensieren), besteht auch kein Druck sich hier zu bewegen und zu versuchen, die sich enthaltenden Wähler wieder zur Wahl zu bewegen.

Die Einführung der Wahlpflicht nach belgischen Vorbild würde zwar mit dem Mittel der Repression eine höhere Wahlbeteiligung erzwingen, aber das ist meines Erachtens kein probates Mittel. Die Menschen haben ja Gründe nicht zur Wahl zu gehen und die Wahlpflicht würde einzig das Sympton beheben - nicht die Ursache. Da unsere parlamentarische Demokratie aber auch überzeugte Demokraten braucht, ist die Wahlpflicht für mich keine Alternative.

Ich würde hier gerne ein Verfahren vorschlagen, dass die Parteien zwingt auf die Bevölkerung zu zu gehen und wieder Politik für die Bevölkerung und nicht für Lobbyisten zu machen.

Mein Vorschlag verknüpft die Anzahl der Sitze im Bundestag mit der Beteiligung an der Wahl. D.h. bei einer geringen Wahlbeteiligung gibt es weniger Abgeordnete, ergo weniger Geld und Personal für die einzelnen Fraktionen.

Hier also das vorgeschlagene Verfahren:

1. Der Bundestag besteht bei einer Wahlbeteiligung von 100% aus 600 Abgeordneten (ohne Überhangsmandate).

2. Die Mandate teilen sich auf in 300 Direktmandate aus den Wahlkreisen und 300 Abgeordnete, die ihr Mandat über die Listen der Parteien erhalten.

3. Für jeweils 1% weniger Wahlbeteiligung entfallen anteilig 3 Mandate über die Listen der Parteien.

4. Ein Direktmandat entfällt bei einer Wahlbeteiligung im Wahlkreis von unter 50%.

Diese Vorschläge würden bei einer Wahlbeteiligung von 68% zu einer Zusammensetzung des Bundestags aus 504 Abgeordneten ( 300 Direktmandate und 204 Listenplätze) führen.

Sicherlich kann man an dieser Idee noch etwas Finetuning betreiben, aber ich denke, wir werden die großen Parteien erst dann dazu bekommen, wieder auf die Wähler zu zu gehen, wenn diese einen direkten Nachteil durch die geringe Wahlbeteiligung zu befürchten hätten.