Ein Politiker in Delmenhorst

Ansichten, Vorschläge, Meinungen und alles andere was einem Politiker in Delmenhorst einfällt.

Donnerstag, 18. Dezember 2014

Auf einem großen Pferd ...

(c) http://www.cavallo.de
... reitet der Populismus durch die Markthalle. Oder: Von Ehrlichkeit und Rückgrat. 

So zu erleben am vergangenen Dienstag während der jüngsten Sitzung des Rates der Stadt Delmenhorst. Es ging um ein, für alle Politiker immer sehr unangenehmes Thema: "Steuererhöhungen". Niemand zahlt mit Begeisterung Steuern und noch viel weniger Politiker erhöhen sie leichten Herzens.  Holen wir aber ein wenig weiter aus und schauen uns die Vorgeschichte an, und wie es dazu kam, ja kommen musste. 

Der Haushalt der Stadt Delmenhorst befindet sich seit Jahren in der Schieflage. So konnten, auf dem Papier, ausgeglichene Haushalte in den letzten beiden Jahren nur durch allerhand Taschenspielertricks erreicht werden, so z.B. durch die Angabe pauschaler Einsparungen in Fachbereichen, die überwiegend gesetzlich verbindliche Ausgaben zu tätigen haben. Es wäre natürlich einfach, hier darauf hinzuweisen, dass die PIRATEN hier dieses Vorgehen stets kritisiert haben und den Haushalten nicht zugestimmt haben, es sei hier aber trotzdem dokumentiert.[1] [2] 

Nach der Neuwahl des Oberbürgermeisters im Mai 2014 sollte nun eine neue Ehrlichkeit bei der Haushaltsführung und -Beratung Einzug halten. Diese "neue Ehrlichkeit" führte nun dazu, das uns als Fraktionen im Stadtrat bereits vor dem offiziellen Amtsantritt des neuen Oberbürgermeisters am 01.11.2014 in mehreren Gesprächsrunden die tatsächliche Lage des Haushalts der Stadt dargelegt wurde. Ein Verfahren, dass wir so bisher nicht kannten. Am Ende kam bei diesen Runden heraus, dass wir auf ein Haushaltsdefizit für das Jahr 2015 in Höhe von ca. 5.500.000 Euro hinsteuern, dass wir alleine durch Kürzungen der freiwilligen Leistungen, selbst wenn wir alles streichen würden, nicht würden ausgleichen können. Also, selbst wenn wir alle sozialen Einrichtungen schließen, alle Zuschüsse streichen, alle Jugendhäuser schließen würden, könnten wir im Jahr 2015 den Haushalt nicht ausgeglichen gestalten


In dieser Situation hatten wir jetzt 2 Optionen:

1. Wir beschließen einen nicht ausgeglichenen Haushalt für das Jahr 2015. Die Kommunalaufsicht ordnet an, dass wir ein Haushaltssicherungskonzept erstellen müssen und schickt uns einen "Sparkommissar", der sämtliche Leistungen streicht und alle Steuern auf den Maximalsatz erhöht. Ohne weiteres Zutun des Rates, ohne Abstimmungen - einfach Kraft des Amtes. Hinzu kommt ein sofortiger Anstieg der zu entrichtenden Zinsen für die aufgehäuften Schulden.

2. Wir versuchen durch einen Mix aus Steuererhöhungen und Einsparungen den Haushalt doch noch ausgeglichen aufzustellen und arbeiten an der Konsolidierung für die Jahre 2016 ff.

Uns allen, also allen Fraktionen im Rat, war klar, dass die Option 1 die schlechteste aller Möglichkeiten darstellt und möglichst vermieden werden sollte. Es wurden nun also die Vorlagen für die Ausschüsse vorbereitet, die Fraktionen unterrichtet und zumindest wir als PIRATEN stellten unsere Strategie für die kommenden Beratungen auf: Tragen der Erhöhungen bei gleichzeitiger Forderung nach Verminderung der Defizite bei den Einrichtungen der Stadt und Überprüfung der Organisation der Verwaltung und Optimierung der Organisation, um so Stellen einzusparen. Und wir tragen die Erhöhung noch im Dezember 2014 mit, damit die Mittel im Jahr 2015 zur Verfügung stehen - auch wenn die Haushaltsberatungen erst später stattfinden. Wir wären auch bereit gewesen, im Jahr 2014 noch den Haushalt für 2015 zu verabschieden.

Je näher nun die entscheidende Ratssitzung kam, desto schlimmer wurden die Nachrichten, die uns erreichten: Hier eine Million weniger vom Land, hier mehr Ausgaben als geplant, hier ein Belegungsrückgang in den städtischen Kliniken und ein erhöhter Zuschussbedarf und so weiter und so fort. Das Defizit, dass wir ausgleichen müssen, wurde und wird zur Zeit mit jedem Tag größer.

Aber - und das verwundert den, der Rechnen kann, dann doch, auch die Ablehnung der Steuererhöhungen durch Teile des Rates wuchs mit jedem Tag. Erst die FDP, die jegliche Erhöhung grundsätzlich ablehnt (ohne hier natürlich Vorschläge zu machen, wie es denn sonst gehen sollte), dann die CDU, die auf vorherige Haushaltsberatungen für 2015 bestand. (Nachvollziehbar, allerdings auch ein wenig trotzig, da ja gerade auch die CDU für die Verschiebung der Beratungen in den Januar 2015 war. Ergänzung nach Hinweis der CDU: "Für uns (die CDU) war die Begründung der Verwaltung für die Steuererhöhungen viel zu dünn. Zudem fehlen uns belastbare Zahlen, wonach die einzelnen Fachbereiche bereits versucht Einsparungen zu erzielen. Steuererhöhungen dürfen nach unserer Auffassung nur der allerletzte Schritt sein, wenn alle möglichen Einsparmöglichkeiten ausgeschöpft sind.Machen wir uns nichts vor, die nun erhöhten Steuern werden nie wieder abgesenkt!") Die UAD schloss sich dem an und zu guter letzt passte dem Bürgerforum/Freie Wähler die Verlängerung des Vertrages des Chefs der Stadtwerke nicht und sie lehnten deswegen die Erhöhung der Steuern ab. 

Das bei der eigentlichen Ratssitzung dann auch noch Bürger erschienen, die ihrem Unmut über die Erhöhung der Hundesteuer Luft machten, erleichterte natürlich die ablehnende Haltung der o.a. Fraktionen deutlich. Auch wir haben natürlich Verständnis für die Proteste der Bürger, müssen aber trotzdem zu diesen Maßnahmen ergreifen.

Nun ist es natürlich das gute Recht der Abgeordneten und entspricht dem Wesen der Demokratie, dass man in solchen Themen unterschiedlicher Meinung ist und auch, gerne, kontroverse Debatten und Abstimmungen stattfinden. Gerade wir fordern ja immer die Abschaffung, ja das Verbot des Fraktionzwangs und freie Abstimmungen. Aber, jeder Mandatsträger trägt auch Verantwortung. Verantwortung für die gesamte Stadt heute - und für die Zukunft. 

Wenn man sich jetzt hier auf die komplette Verweigerung zurückzieht, dann kann man das machen, aber dann ist das plumper Populismus und verantwortungslos. Gerade auch dann, wenn man keine Vorschläge unterbreiten kann, wir man das Dilemma ansonsten auflösen soll. 

Und eines sei auch klar gesagt: Selbst ein genehmigungsfähiger, also "ausgeglichener" Haushalt bedeutet am Ende nur, dass wir unsere Kreditlinie eingehalten haben. Vom Abbau der Schulden kann hier überhaupt noch keine Rede sein. Wir stellen uns also der Kritik aus der Bevölkerung, diskutieren, nehmen Anregungen an und werden unseren Kurs immer vertreten.

Samstag, 13. Dezember 2014

#KaufnixbeimAmi

Wir alle stehen inzwischen fassungslos vor den Abgründen, an die uns die Weltmacht USA inzwischen gebracht hat. Der NSA-Abhörskandal und die Folterungen an Gefangenen in Geheimgefängnissen auf der ganzen Welt könnten, so schwant es einem fast, nur die Spitze des Eisbergs sein. Nun kann man sicherlich viele Analysen anstellen, wie es soweit kommen konnte, wie aus dem freundlich kaugummikauenden GI ein solches Monster werden konnte. 

Viel interessanter allerdings ist die Frage, was können wir, kannst Du und ich, tun, damit dieses aufhört. Und auch die Vergangenheit aufgearbeitet werden kann. 

Nichts kann ich als einzelner tun, werden jetzt viele sagen. Und ich sage: Doch. Jeder einzelne kann etwas tun, damit in den USA ein Umdenken stattfindet. Einfach durch die Dinge, die auch in den USA immer funktionieren und wo die "Musik" spielt: Üben wir wirtschaftlichen Druck aus. Wir müssen keine amerikanischen Produkte kaufen. Niemand kann uns dazu zwingen. 

Machen wir doch im kleinen, was die große Politik doch auch immer gerne mal macht: Wir machen unser eigenes, kleines Embargo. #KaufnixbeimAmi. Jeder für sich. Und dann wird aus der Summe der kleinen Dinge auf einmal etwas Großes.

Die Liste der Produkte der amerikanischen Megakonzerne auf unserem Markt ist lang und umfangreich: Coca Cola, Pepsi, McDonalds, Burger King, Kellogs, Ford, Opel, Microsoft, IBM, ORACLE - das sind nur die Marken, die jedem sofort in den Kopf kommen. Jeder Hamburger, jede Cola die nicht verkauft werden tun den Konzernen nicht so weh. Milliarden Burger und Millionen Liter Pepsi, die nicht konsumiert werden - das merken die Firmen. 

Und dann greifen die üblichen Mechanismen, dass mit dem wirtschaftlichen Druck auf die Politik. Warum also nutzen wir dieses Instrument nicht einmal für uns aus?

Guantanamo und alle anderen Ex-Territoralen Geheimgefängnisse, auch und gerade in Europa, müssen geschlossen werden. Die einsitzenden Häftlinge sind der ordentlichen Gerichtsbarkeit zuzuführen. Die für die Folter Verantwortlichen müssen ebenfalls vor Gericht gestellt werden. Die Internationale Gerichtshof in Den Haag muß anerkannt werden. Die Integrität unserer Kommunikation muss wiederhergestellt werden. Edward Swnoden und alle anderen Whistleblower müssen begnadigt und freigelassen werden.

Das sind die Forderungen. Und dann gibt es auch wieder Corn Flakes zum Frühstück.

#KaufnixbeimAmi

Donnerstag, 27. November 2014

Von Verantwortung und Steuern

Ja, wir haben Steuern erhöht (zumindest nach dem momentanen Stand) und Ja, wir werden auch weiteren Steuererhöhungen zustimmen. Es macht uns keinen Spaß und Ja, es betrifft uns auch selber.

Nun ist es so, dass sich die Finanzen der Stadt Delmenhorst seit Jahren in der Schieflage befinden und zumindest die letzten beiden Haushalte unseres Erachtens nur Aufgrund von haushaltstechnischen Tricksereien und viel Hoffnung auf dem Papier ausgeglichen dargestellt werden konnten. Nicht zuletzt deshalb haben die Piraten auch hier jeweils die Entwürfe abgelehnt. Unser neuer Oberbürgermeister hat hier jetzt, dankenswerterweise, die Anweisung herausgegeben, einen "ehrlichen" Haushalt aufzustellen. Das Ergebnis sehen wir jetzt vor uns. Insgesamt fehlen an die 5.000.000 Euro im Haushalt der Stadt Delmenhorst. Hinzu kommen noch unklare Herausforderungen, zum Beispiel im Bereich der städtischen Kliniken.

Wie geht man als Ratspolitiker jetzt damit um? Macht man die Augen zu und hofft, dass das alles an einem vorübergehen möchte? Dass der Ritter auf dem weißen Pferd erscheint und Geld bringt? Oder sucht man nach Lösungen und Möglichkeiten?

Wir haben uns für das Letztere entschieden. Wir verfolgen einen dreistufigen Ansatz, um wenigstens ein wenig zu den Haushaltsberatungen beizutragen:

1. Wir tragen die Erhöhungen der kommunalen Steuern mit. Das ist zwar unangenehm, aber ein Baustein der Haushaltskonsolidierung muss die Verbesserung der Einnahmesituation sein. Da führt kein Weg dran vorbei. Wer hier etwas anderes erzählt, sagt schlicht und ergreifend nicht die Wahrheit.

2. Wir fordern alle Ausgaben der Stadt, die nicht gesetzlich festgelegt sind, auf den Prüfstand zu stellen. Daher auch unser Antrag, dass der Kostendeckungsgrad der Musikschule mittelfristig von ca. 50% auf 80% zu heben ist. Und hier werden noch weitere Anträge folgen

3. Wir fordern, die organisatorischen Abläufe und Strukturen innerhalb der Verwaltung zu durchleuchten und uneffektive, doppelte und nicht sinnvolle Tätigkeiten einzustellen und generell die Effektivität zu erhöhen. Neueinstellungen lehnen wir ab. Hier ist die Produktivität zu erhöhen.

Wir haben hier sicherlich kein Allheilmittel gefunden, sind aber der Meinung, dass der Mix dieser Ansätze mittel- bis langfristig zur Erholung der städtischen Finanzen beitragen kann. 

Und hier hat das auch einfach etwas mit der Verantwortung als Ratspolitiker für die gesamte Stadt zu tun, dass man auch einmal unangenehme und unpopuläre Entscheidungen zu treffen hat. Und nur mal so unter uns: Wenn man eine Katzensteuer einführen könnte, wir würden das befürworten und das auch im letzten Jahr ins Spiel gebracht. Leider ist eine solche Steuer aus verschiedenen Gründen nicht umsetzbar. 


Montag, 3. November 2014

Wieder mehr Politik wagen

Da dieses Blog auch ein wenig der Dokumentation gewidmet ist, hier meine Vorstellungsrede von der LMVNDS14.2 in Gifhorn, gehalten am 01.11.2014. 


Liebe Piraten, liebe Freibeuter, liebe Gäste,

“Wieder mehr Politik wagen” - das wollen wir uns als Mission-Statement für die kommenden zwei Jahre aufgeben. Wir wollen wieder nach außen wirken und uns nicht mehr alleine um uns selber drehen. Wir wollen aufhören zu denken, dass unsere Bubble die ganze Welt ist - und die ganze Welt Interesse an den Vorgängen in unserer Bubble hat.

Wir sind in dieser Partei zusammen gekommen, um etwas in diesem Land zu ändern. Und auch, wenn dieser Slogan inzwischen altbacksch klingt: “Klarmachen zum Ändern” gilt immer noch. Wir sind gemeinsam in einer Partei, weil wir gemeinsame Ziele haben: Teilhabe aller, Verteidigung und Ausweitung von Bürgerrechten und der Freiheit des Einzelnen, Vorantreiben der digitalen Gesellschaft - das sind nur einige der Themen, die uns alle bewegt haben, uns bei den PIRATEN zu engagieren. Warum also tun wir so wenig für unsere Ziele und soviel dafür, dass sich immer wieder Piraten und Bürger angewidert von uns abwenden?
Und braucht nicht die Gesellschaft mehr denn je das Korrektiv, dass wir in die Politik einbringen können?

Fangen wir also mit dem “Ändern” bei uns vor der Tür, hier in Niedersachsen an. Lasst uns wieder gemeinsam an unseren Themen arbeiten, lasst uns die Strukturen innerhalb der Partei ausbauen und neue schaffen, die wir brauchen um effektiv und erfolgreich zu arbeiten. Lasst uns wieder zu einer Diskussionskultur zurückkehren, die niemanden verletzt oder beleidigt, aber trotzdem offen und ehrlich in der Sache ist. Leben wir endlich die Gesellschaft vor, die wir uns wünschen. Lasst uns dort die Interessen bündeln, wo sie gebraucht werden: In den Arbeitsgruppen und den Gliederungen vor Ort.

Wir sind die mit den Fragen”  ist ein anderer, älterer Slogan von uns. Hier schwingt auch viel Neugierde und Interesse an gesellschaftlichen Vorgängen mit. Dazu gehört, dass wir uns über die Themen, die unsere Mitbürger beschäftigen, in der Gesellschaft informieren und dort, wo wir es können, diese auch transportieren. Für mich bedeutet das auch, dass wir uns mit den Bürgerinitiativen vor Ort, Elterngruppen, Künstlerstammtischen aber auch Vereinen und anderen NGOs auseinandersetzen, vernetzen und austauschen.

Ich trete heute hier, nach reiflicher Überlegung, an, um für die nächsten zwei Jahre die Arbeit der PIRATEN in Niedersachsen mit zu prägen. Und da Politik ohne Mandate irgendwie doof ist, soll der absolute Schwerpunkt meiner Arbeit in der Vorbereitung und, hoffentlich, erfolgreichen Teilnahme an der Kommunalwahl 2016 sein. Wir haben im September in Hannover bereits angefangen, die Weichen zu stellen, jetzt gilt es, den Zug ins Rollen zu bekommen. Dafür bin ich bereit, meinen Teil dazu beizutragen. Wieder mehr Politik wagen. - In den Kreis- und Bezirkstagen, den Stadt- und Ortsräten, überall dort, wo Kommunalpolitik stattfindet - dort wollen wir dabei sein, mitreden, Vorschläge unterbreiten und für den Bürger arbeiten.

Wieder mehr Politik wagen soll aber auch für die Arbeit im Landesvorstand gelten. Ich bin Politiker. Und ich mache Politik. Ich war in meiner ersten Amtszeit ein politischer Vorsitzender und werde das auch sein, wenn ihr mir Euer Vertrauen aussprecht. Ich werde keine Alleingänge machen und alles was wir im Vorstand tun werden, wird untereinander abgesprochen sein - aber wir werden politisch agieren. Ich finde, das solltet ihr wissen.

Zusammen können wir es schaffen, diesem Landesverband wieder ein wenig mehr Leben einzuhauchen - ich bin bereit meinen Teil dazu beizutragen.
Vielen Dank

Dienstag, 14. Oktober 2014

Ich bleibe.

Infostand zur Kommunalwahl 2011
Nach ganz vielen, teilweise an der Grenze des Erträglichen liegenden Blogposts von Menschen, die beschlossen haben zu gehen, möchte ich hier einmal etwas Positives beitragen und schreiben warum ich bleibe. Und um das zu erläutern, werde ich einmal ein wenig weiter ausholen.

1988 bin ich, einem mehr oder weniger spontanen Entschluss folgend, in die SPD eingetreten um endlich etwas gegen die Koalition der "geistig-moralischen Wende" zu tun, deren Auswirkungen wie ein schwerer, bleierner Teppich auf der gesamten Gesellschaft lagen. Anfangs ein wenig misstrauisch beäugt, wurde ich dann relativ schnell akzeptiertes Mitglied meines Ortsvereins und des Unterbezirks in Delmenhorst. Delegationen und Ämter wurden einem auf der untersten, Ortsvereinsebene relativ schnell angetragen und 1991 habe ich das erste Mal für den Delmenhorster Stadtrat kandidiert.
Plakate zur Bundestagswahl 2009
Wollte man sich allerdings ein wenig weiter "entwickeln" und auf der höheren Ebene anklopfen, schlug einem schnell das wahre Gesicht der hier Engagierten entgegen. Denn tatsächlich ist das, was nach außen die mitfühlenden Sozialdemokraten mimt, in Wahrheit eine Schlangengrube von persönlichen Interessen, Seilschaften, ausgeküngelten "Proporz" und macht selbst vor den schmutzigsten politischen Tricks nicht halt. Intern. Hinter den verschlossenen Türen. Was mich immer wieder verwundert hat, ist, dass mit dem politischen Gegner, sei es die CDU, die FDP oder all' die anderen, fairer umgegangen wird, als mit den eigenen Mitgliedern. 
Nach der Geburt meiner Tochter 1995 habe ich mich dann aus der aktiven Politik zurückgezogen und bin dann während der Schröderära vollkommen desillusioniert auch aus der SPD ausgetreten. Die unsäglichen Hartz-Reformen, das aus dem propagierten "Fordern und Fördern" eine Verwaltung des Notstands geworden ist, all das konnte und wollte ich nicht mehr vertreten müssen. 

2006 konnte ich dann, ich denke es war auf GOLEM, von der Gründung der Piratenpartei in Deutschland lesen. Interessanter Ansatz, dachte ich mir seinerzeit, aber damals konnte ich mir eine Mitarbeit eher nicht vorstellen, zu Abstrakt und zu weit weg schien mir das ganze zu sein. Eher sympathisierte ich zur der Zeit mit der 2007 gegründeten Linkspartei. Das Programm war ansprechend, allerdings war der Umgang untereinander offensichtlich noch unterirdischer als bei der SPD. Also war ausser Schnuppern tatsächlich nichts gewesen.

Mein nächste Kontakt zur Piratenpartei war dann zur Europawahl 2009. Die stehen auf dem Wahlzettel! Die gibt es immer noch! Die wähle ich! Das waren die Gedanken in der Wahlkabine, als ich meinen Wahlzettel betrachtete, unschlüssig, welchem Elend ich meine Stimme geben soll. Und gleich danach habe ich mich zu Hause informiert und die ersten Kontakte geknüpft.
LPTNDS 2009 in Langenhagen

Die Themen wie Transparenz, Bürgerbeteiligung, die Zensursula Sache, das mit dem Postgender, der freiheitliche, liberale Ansatz, die Mitmachpartei - alles das waren Dinge, die mir aus dem Herzen sprachen. Die Ablehnung einer Quote - genau das war der richtige Weg.

Seinerzeit gab es in Oldenburg und Bremen aktive Piraten und am 11.09.2009 konnten wir unseren ersten Stammtisch in Delmenhorst mit über 10 Interessierten abhalten und seit dem Tag bin ich Pirat. Diese Partei war etwas, was einen hineinzog wie ein Strudel. Und durch den "machen statt labern" Ansatz konnten wir hier Dinge verwirklichen, die in anderen Parteien Jahre gedauert hätten - wenn es denn überhaupt möglich gewesen wäre. Schnell fand sich in Delmenhorst ein fester Kern, der, mit einigen Änderungen bis heute aktiv ist. Die Zeit des Aufbaus der Organisation war spannend, aufreibend und teilweise chaotisch, aber immer, wenn man Piraten traf, spürte man eine gewisse Verbundenheit und auch an den rauen Ton auf den Mailinglisten oder bei Twitter gewöhnte man sich rasch. Wer seinen ersten richtigen Shitstorm überlebt hat, den erschüttert so schnell nichts mehr.
LPTNDS 2011 in Delmenhorst

Einer unserer Höhepunkte war der erste Landesparteitag, den wir in Delmenhorst 2011 abhalten durften. Hier im com.media tagen zu dürfen, davon reden die "alten" Piraten in Delmenhorst heute noch. Wir haben seinerzeit "Big" Arne Hattendorf zum Landesvorsitzenden gewählt, meinen Vorgänger. Da habe ich zu der Zeit überhaupt nicht drüber nachgedacht. An unserem Programm haben wir gefeilt und am Ende alle zusammen abgebaut. Und dieses "Zusammen" prägt für mich bis heute diese Partei. Es gab damals noch nicht diese "Gate" Kultur, wie sie uns in den beiden folgenden Jahren das Leben schwer machen sollte und einen manchmal fast an der Partei verzweifeln ließ. Bei der folgenden Kommunalwahl konnten wir dann unser erstes großes Ziel erreichen und mit 4,7% der Stimmen in Fraktionsstärke in den Stadtrat einziehen. 

Im folgenden Jahr hatte ich dann im Landesvorstand unter anderem die Aufgabe die Landtagswahl 2012 vorzubereiten. Und wenn ich je daran gedacht habe, diese Partei zu verlassen, dann war es zu der Zeit. Der Mitgliederboom 2011/12 hatte uns eine Menge von "schwierigen" Personen in den Landesverband gespült, man hatte (und ich denke das heute noch) teilweise den Verdacht, dass hier absichtlich Leute geschickt worden um uns zu schaden. Teilweise habe ich nächtelang nicht geschlafen, so hat mich die Sache um die gescheiterten Aufstellungsversammlungen in Nienburg und in Wolfenbüttel mitgenommen. 
Wahlplakat zur Bundestagswahl 2013
An manchen Tagen haben Thomas und ich einfach nur noch "den Job" gemacht, weil es sein musste, nicht weil wir auch nur ansatzweise noch konnten oder wollten. Aber: Wir haben das durchgezogen. Und bei all' dem Gegenwind aus dem Bund (ich möchte nur an die unsäglichen Streitereien um Johannes erinnern) und den selbstgemachten Leiden, haben wir doch einen engagierten Wahlkampf hingelegt und im Nachhinein sieht das Ergebnis heute auch nicht mehr ganz so katastrophal aus.
Aber am Ende haben wir auch diese, schwierige Zeit durchgestanden. 

Open Air Plakatieren in Bremerhaven
Im Dezember 2013 dürften wir dann in Bremen einen neuen Bundesvorstand wählen. Für mich ist dieser Bundesparteitag der Wendepunkt der Parteigeschichte. Wie aus dem Nichts wurde Thorsten für viele völlig überraschend zum Bundesvorsitzenden gewählt. Wer da im Hintergrund die Strippen gezogen hat, sollte sich (für mich) erst viel später zeigen. Mit dieser Entscheidung waren anscheinend gewisse Gruppen innerhalb der Partei der Meinung, sie hätten nun die Oberhand gewonnen. Ausprägungen wie das #flaggengate in Bochum oder auch die Bomber Harris Aktion im Februar waren die sichtbarsten Zeichen, dass hier Pflöcke eingerammt werden sollten und die Piratenpartei stramm auf einen anarchistischen, feministischen, ultralinken ja fast K-Gruppen ähnlichen Kurs gebracht werden. Texte wurden auf einmal gegendert, es wurde von Pirat*innen und jemensch gesprochen. Quoten wurden diskutiert, Posten innerhalb der Peergroup hinter verschlossenen Türen vergeben. Hier stellte sich jetzt für alle gemäßigten Teile der Partei - und das waren zu der Zeit sicherlich 2/3 der Mitglieder - die Frage, wollen wir um unsere freiheitliche Netzpartei kämpfen oder gehen wir. 
Da ich inzwischen ein Mandat für die Piraten bekleide und wir, gerade in Delmenhorst, zu viel aufgebaut hatten um es einfach wegzuwerfen, sind wir geblieben und konnten zum Glück in Halle den Kurs der Partei wieder richten. Seitdem hagelt es Blogposts der Plattformer, die gehen und uns bleibenden wahlweise eine rechte Gesinnung, fehlende politische Bildung oder auch Querulantentum vorwerfen. Wir wären unpolitisch und programmatisch würden wir nichts voreinander bekommen. Immerhin wären ja alle programmatischen Impulse der letzten Jahre aus ihren Reihen gekommen. 
Da kann ich nur drauf antworten: Klar, wenn auf einem BPT nur 5 Anträge behandelt werden, alle anderen niedergeschrien oder von der (von Plattformern besetzten) Versammlungsleitung nicht aufgerufen werden, dann sind natürlich programmatische Impulse, wie z.B. Weltraumaufzüge oder Zeitreisen, nur von der Peergroup gekommen. 
Stadtmesse in Delmenhorst 2011
Wird uns dieser Impuls fehlen? Hmm, ja. Ich denke ein Teil unserer Pluralität ist uns abhanden gekommen. Und nicht alle, die jetzt meinten gehen zu müssen, waren Schreihälse oder unverbesserliche Egomanen. Ein Teil der Piraten, die ich auch geschätzt habe, ist jetzt weg. Aber: Wir als Partei gehen gestärkt hervor. Die Marke ist beschädigt, ja, aber nicht zerstört. Ich habe oft gehört, dass, wenn wir unsere Probleme in den Griff bekommen, wir wieder wählbar sind. Wir sind dabei. Wir bekommen das in den Griff. Da bin ich jetzt zuversichtlicher denn je. Wir, die wir bleiben, arbeiten jetzt strukturiert und ruhig an unserer Partei. Überall kommen alte, vergraulte Piraten zurück. Die AG's erwachen wieder zum Leben. Wir sind noch da. Und wir werden wiederkommen. Und deshalb bleibe ich. Weil ich dabei mitmachen möchte. In der Mitmachpartei.

Freitag, 3. Oktober 2014

Das mit dem Hut

"Seinen Hut in den Ring werfen": Wenn sich jemand auf eine Auseinandersetzung einlässt oder den Kampf um ein Amt aufnimmt, dann sagt man: "Er hat den Hut in den Ring geworfen." Natürlich denkt man an den ähnlichen Ausdruck "das Handtuch werfen". Im Boxsport tut das der Betreuer eines Boxers, um zu zeigen, dass man aufgibt. Sehr wahrscheinlich hat diese Redensart die Hut-Wendung beeinflusst, die freilich auf ältere Bräuche zurückgeht.

Der Hut – wie Kopfbedeckungen überhaupt – repräsentiert seit alters für die ganze Person. Wenn also jemand den Hut in den Ring wirft, dann wirft er ihn gleichsam nur voraus nach dem Motto: "Ich komme gleich, um zu kämpfen." Quelle

Nun trage ich zwar keinen Hut, werfe ihn aber trotzdem symbolisch in den Ring. Ihr habt gefragt und ich habe versprochen es mir zu überlegen. Lange. Reiflich. Mit Freunden gesprochen, mit der Familie. Übereinstimmend kam als Antwort: "Du mußt das machen." 

Nun gut. Dann sei es so. Ich werde mich am 01.11. in Gifhorn für das Amt des Vorsitzenden der Piratenpartei Niedersachsen bewerben. Und wenn ihr möchtet, könnt ihr mich wählen.

Warum mache ich das?
Zum einen, weil mir die Partei immer noch wichtig ist und einen hohen Stellenwert in meinem Leben einnimmt. Zum anderen, weil wir in 2016 Kommunalwahlen haben und wir viel arbeiten müssen, um den Landesverband wieder so weit auf Kurs zu bekommen, dass wir gut abschneiden und zumindest unsere Mandate verteidigen, wenn nicht mehr. Die nächsten zwei Jahre müssen wir den vielleicht wichtigsten Wahlkampf in der Geschichte unseres Landesverbands vorbereiten und professionell durchziehen. Daher möchte ich Euch auch sehr ans Herz legen, dem Satzungsänderungsantrag für die Verlängerung der Amtszeit des Vorstands zuzustimmen. 

Kommunalpolitik ist nicht alles - aber ohne Kommunalpolitik ist alles sehr viel schwerer.
Wir können unsere Ziele nur erreichen, wenn wir vor Ort bei den Menschen ankommen und ein Ohr für unsere Themen finden. Wenn wir in den Räten gute und verlässliche Arbeit leisten und die Bevölkerung sieht, dass wir durchaus mit Ernst bei der Sache sind. Dort wo wir kommunalpolitisch aktiv sind, ist es wesentlich einfacher auch andere Themen zu transportieren. Und auch die Pressearbeit ist effektiver. Daher muß unser Ziel sein, bei den anstehenden Kommunalwahlen möglichst gut abzuschneiden.

Aber ist das denn nicht alles viel zu viel für Dich?
Ja. Es wird fast zuviel sein. Und wenn Haushaltsberatungen anstehen, kann es sein, dass ich auch mal weniger Zeit für den Lavo habe. Dafür bitte ich schon im Vorfeld für Verständnis. Auf der anderen Seite bin ich der Meinung, dass wir endlich wieder mehr Leute im Lavo brauchen, die entscheiden können und handeln, auch wenn es manchmal unbequem ist. Und Tickets kann man asynchron bearbeiten, Lavo-Sitzungen dürfen gerne auch mal am Wochenende sein. 
Und: Ich werde ein politischer Vorstand sein. War ich immer - werde ich immer sein. Politik betrifft so viele Bereiche unseres Lebens, wie kann man sich dann selber als unpolitischen, verwaltenden Vorstand sehen? 

Aber Ihr habt doch 2012 auch Fehler gemacht!
Ja. Haben wir. Auf jeden Fall. Weil - wer handelt macht Fehler. Einige Dinge würde ich heute nicht mehr tun, z.B. offene Briefe schreiben. Aber gewissen Leuten die Kandidatur aberkennen, oder die Einheit des Landesverbands gegen andere verteidigen - Ja, das würde ich immer und immer wieder machen. Immerhin haben wir probiert, langfristige Strukturen aufzubauen, die zum Teil heute noch funktioneren. Und eine meiner Aufgaben wird es sein, die vorhandenen Strukturen zu stärken und vielleicht neue zu generieren. Ich würde gerne die Stammtische besuchen und probieren neue ins Leben zu rufen. 

Anpacken - machen statt labern - das piratige Mandat wieder wahrnehmen. Das wird das Motto der nächsten zwei Jahre sein. 

Ich weiß, dass ich nicht immer everybodies Darling bin, dass ich manchmal Ecken und Kanten habe. Aber, wer mich kennt, weiß auch, dass ich nicht nachtragend bin und mit allen rede, die dieses wollen. Und das ich mich nicht verstecke, wenn es brennt. 

Und es gibt soviel zu tun:

  • die politische Arbeit im Landesverband muß wieder stattfinden, unter anderem sollten sich die AGs wieder finden.
  • ein Wahlkampf muß geplant werden.
  • Kandidaten gefunden und geschult werden.
  • Wir müssen uns wieder zeigen, laut und unangepasst nach aussen, diskursorientiert und fair nach innen.

Mit einem guten Team - und das sehe ich gerade am Horizont entstehen - werden wir das gemeinsam schaffen können. Zusammen. Wir

Nachtrag vom 05.10.

Auf Wunsch hier kurz mein "piratiger" Lebenslauf

  • Pirat seit dem 11.09.2009
  • Gründungsvorsitzender des SV Delmenhorst von 03.2010-03.2012
  • 02.2012- 02.2013 Vorsitzender des Landesverbands Niedersachsen
  • Seit 10.2012 Ratsherr und Fraktionsvorsitzender im Stadtrat von Delmenhorst

Dienstag, 12. August 2014

Not!In!My!Back!Yard!

Not!In!My!Back!Yard! - oder warum nehmen Bürger Beteiligungsangebote nicht an – und wie reagieren wir?



Eines der Kernthemen der Piratenpartei ist, neben der Transparenz politischer Entscheidungen, immer schon die Bürgerbeteiligung gewesen. Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger in den jeweiligen Kommunen mehr in die Vorgänge einbeziehen. Gerade die Kommunalpolitik ist ja die Form der Politik, die die Menschen am direktesten betrifft: Wo und wann eine Kindertagesstätte gebaut wird, welche Straßen saniert oder neu geschaffen werden müssen bis hin zur Förderung und Steuerung kultureller Angebote. Die Kommunalpolitik betrifft unser direktes Lebensumfeld.



Nachdem das Thema „Bürgerbeteiligung“ von den meisten etablierten Parteien in den letzten Jahrzehnten eher drittrangig behandelt worden ist, ist es, nicht zuletzt durch das Auftreten der Piratenpartei, inzwischen in vielen Städten, Gemeinden und Landkreisen auf der Tagesordnung, den Bürger über verschiedene Mechanismen einzubeziehen. Es gab in den letzten Jahren hier verschiedene Anläufe, hier Prozesse zu etablieren. Leider sind viele dieser Vorhaben insgesamt als gescheitert anzusehen:



Die Stadt Oldenburg hat einen drei Jahre lang getesteten Bürgerhaushalt nach 3 Jahren wieder abgeschafft. Im Rahmen des letzten Bürgerhaushalts in Oldenburg erhielten nur noch 10 von insgesamt 145 Vorschlägen in einer Bürgerbefragung von 5000 zufällig ausgewählten Bürgern mehr als 10 Stimmen.



Ein weiterer Ansatz in Friesland mittels des Einsatzes von Liquid Feedback – hier als „Liquid Friesland“ bezeichnet – hat bei den meisten Verfahren eine Grundgesamtheit von 20 bis 60 Teilnehmern. In einem Landkreis mit 100.000 Einwohnern lässt sich das kaum noch prozentual darstellen. Und das, obwohl Liquid Friesland Deutschlandweit als großes Vorbild der Bürgerbeteiligung gilt und andere Landkreise, zum Beispiel der Landkreis Rotenburg/Wümme, dabei sind ähnliche System aufzusetzen.



Die Stadt Delmenhorst hat im Jahre 2013 ein sogenanntes integriertes Stadtentwicklungskonzept (ISEK) erarbeiten lassen, dessen Regularien ein hohes Maß an Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen haben. Hier wurden verschiedene „Werkstätten“ abgehalten, deren Beteiligung, nach Abzug der beteiligten Politiker und des politischen Umfelds, ebenso im niedrigen, einstelligen Bereich geblieben sind – bei einer Kommune mit über 70.000 Einwohnern.



Dieses sind drei Beispiele aus Niedersachsen, die sich aber problemlos auf andere Bundesländer übertragen lassen.



Es bleibt festzuhalten, dass die allgemeine Bürgerbeteiligung in Deutschland offensichtlich nicht angenommen wird.



Anders sieht es bei speziellen Anlässen aus. Jegliche Änderung des Lebensumfeldes von Bürgern mündet im Allgemeinen unverzüglich in der Entstehung einer Bürgerinitiative, die meistens sehr lautstark auf ihr Anliegen hinweist und massiven, punktuellen Druck ausübt. Gibt man bei Google als Suche „Bürgerinitiative gegen gegründet“ ein erhält man 392.000 Treffer (Stand 03.02.2014). Seien es Moscheen, Windräder, Überlandleitungen, Straßen- oder Bahntrassen, Massentierhaltung, Stadien, Kraftwerke, Einkaufszentren, Müllverbrennungsanlagen oder Asylbewerberheime – immer wenn ein solches Vorhaben ansteht (und hier soll keinerlei Wertung stattfinden) ist eine neugegründete Bürgerinitiative schnell vor Ort aktiv. Dieses Verhalten zeigt uns, dass die Bevölkerung sehr wohl bereit ist sich zu engagieren. Aber zum überwiegenden Teil eben nur um Vorhaben zu verhindern, die direkt in das Lebensumfeld der Mitglieder einer BI und der örtlichen Gemeinde eingreifen. Bürgerinitiativen PRO sind wesentlich seltener anzutreffen, ein Beispiel seien hier einige BI zur Förderung des Ausbaus von Breitbandanbindungen an das Internet im ländlichen Bereich.



Ist der eigentliche Anlass der Gründung der BI nicht mehr gegeben, fallen die Tätigkeiten und Initiativen der aktiven Mitglieder sehr schnell wieder in sich zusammen. Nur in den seltensten Fällen gelingt es den Initiatoren nach dem eigentlichen „Aufreger“ weitere Gemeinsamkeiten zu finden, um die Mitglieder „bei der Stange“ zu halten.



Aus dem englischen Sprachraum kommt für dieses Verhalten das schöne Akronym „NIMBY“ - „Not in my Backyard“ - „Nicht in meinem Garten.“



Zusammenfassend kann man die These aufstellen, dass Bürger, die an allgemeinen kommunalpolitischen Themen interessiert sind, bereits in der Kommunalpolitik oder deren Umfeld tätig sind. Alle anderen Einwohner einer Kommune lassen sich bestenfalls punktuell für die Mitwirkung an politischen Themen begeistern.





Was für Lehren müssen wir für die Kommunalpolitik aus diesem Verhalten ziehen?



Wir müssen frühzeitig erkennen, wo Konfliktpotenziale schlummern



Wenn sich eine Bürgerinitiative gegen ein kommunales Vorhaben bildet, ist das Kind meistens bereits in den Brunnen gefallen. Im Allgemeinen sind die Standpunkte dann bereits dermaßen verhärtet, dass sich den Entscheidungsträgern nur noch zwei Optionen bieten:



  • Das Vorhaben gegen alle Widerstände durchzusetzen
  • Oder das Vorhaben aufzugeben.



Erkennt die Politik allerdings frühzeitig das Konfliktpotenzial, ist es möglich, durch Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger hier die Ängste aufzugreifen und in die Planungen und Entscheidungen einfließen zu lassen. Menschen, die sich mitgenommen fühlen, neigen weniger zur totalen Ablehnung sondern arbeiten vielmehr häufig konstruktiv an den Problemlösungen mit.



Wie kann diese Einbeziehung erfolgen?



Nehmen wir an, es soll ein Bebauungsplan für ein neues Wohngebiet entstehen. Sinnvollerweise wartet man hier nicht nur die Stellungnahme des zuständigen Fachbereichs der Verwaltung ab, sondern macht sich selber vor Ort ein Bild von der derzeitigen Situation. Freie Flächen, Wälder, Felder oder auch Gewässer dienen häufig der Naherholung und liegen den Anwohnerinnen und Anwohnern sehr am Herzen. Hier könnte schon während der Vorgespräche auf eventuelle Schwierigkeiten eingegangen werden. Ein weiteres Problem könnten ungeklärte Besitzverhältnisse oder eventuell notwendige Umlegungsverfahren sein.



Nachdem man sich einen Eindruck geschaffen hat, kann es sinnvoll sein, als Partei eine Informationsveranstaltung vor Ort abzuhalten. Sinn einer solchen Veranstaltung wäre es, die Anliegen der Bürger direkt in die Beratungen einfließen zu lassen, solange noch keine Beschlüsse gefasst worden sind. Bei einer normalen Beratungsfolge Fachausschuss – Hauptausschuss – Stadtrat/Kreistag bieten sich auch während der laufenden Bearbeitung immer noch Möglichkeiten an den Stellschrauben eines Vorhaben zu manipulieren und somit die Wünsche und Anliegen der Bevölkerung einfließen zu lassen.



Anlasslose Bürgerbeteiligung funktioniert nur in den seltensten Fällen



Wie wir auch innerparteilich bei der Akzeptanz von Liquid Feedback seitens der Mitglieder sehen, funktioniert die Beteiligung „mit der Schrotflinte“ nicht oder nur kurze Zeit. Spätestens wenn der Reiz des Neuen verflogen ist, werden nur noch wenige Menschen bereit sein, ihre Zeit dafür zu Opfern, sich in komplexe Sachzusammenhänge einzuarbeiten und sich zu beteiligen. Wenn nicht einmal die Teilnehmer an Parteitagen der Piratenpartei bereit sind, sich Anträge an den Parteitag im Vorfeld in Ruhe durchzulesen, kann man das auch von der nicht politisierten Bevölkerung kaum erwarten.



Wenn dann noch die Themengebiete breit gestreut sind, fühlt sich der normale Benutzer schnell überfordert und wendet sich ab. Dieses gilt umso mehr, wenn die Angebote nicht niederschwellig und akzeptabel gestaltet sind.



Wie können wir das Ändern?



Wir müssen den Benutzer bei seinen Interessen abholen. Es muss jedem klar sein, worum es geht und ob ihn ein Themenbereich interessiert oder er direkt betroffen ist. Hier könnten themenbezogene und zeitlich klar abgegrenzte Bürgerbeteiligungsformen ein Weg sein, mehr Akzeptanz zu schaffen. Ein Beispiel wäre, hier auch wieder durchaus auch auf die Piratenpartei anwendbar, Themenwochen in Liquid Feedback zu starten. So würden während der Themenwochen nur Initiativen aus dem vorher festgelegten Themenbereich gestartet. Analog ließe sich dieses auch auf die Bürgerbeteiligung abbilden. So könnten Werkstätten zu bestimmten Themengebieten abgehalten werden, deren Ergebnisse zum Beispiel in den Haushaltsentwurf der Kommune einfließen.



Den Spin von Bürgerinitiativen nutzen



Zumindest am Beginn und während der ersten Zeit einer BI herrscht eine große Motivation bei den Mitgliedern. Man ist hier gerne bereit, ein hohes Maß an Engagement einzubringen. Als Partei finden wir hier hoch motivierte Bürgerrinnen und Bürger vor, die bereit sind ihr Anliegen massiv zu vertreten. Hier gilt es sich frühzeitig einzuschalten und den Spin zu nutzen, wenn die Anliegen der Bürger unseren Themen entspricht. Hier geht es nicht um das Kapern einer BI. Es geht hier darum, quasi als politischer Arm einer BI zu agieren und so den Themen mehr Druck zu verleihen. Über diesen Weg kommen wir als Kommunalpolitiker mit den engagierten Bürgern in Kontakt und können unter Umständen sogar Synergien generieren. Ähnlich agieren heute schon die Wählergemeinschaften in den einzelnen Städten und Gemeinden. Diese sind häufig sehr stark in den örtlichen Bürgerinitiativen verwurzelt und erzielen teilweise erstaunliche Ergebnisse bei den Kommunalwahlen.

Freitag, 25. Juli 2014

Mein Grußwort - 7 Jahre Piraten in Niedersachsen

Wow, 7Jahre Piraten in Niedersachsen. So lange schon? Und fünf Jahre davon bin ich jetzt dabei. Mal als Basis, mal an verantwortlicher Position und jetzt als kommunaler Mandatsträger.

Sieben Jahre, so viel ist geschehen, so viele tolle und ein paar wenige (leider) weniger tolle Menschen habe ich kennengelernt. Menschen, die mein Leben bereichert haben, wie z.B. Kine, Jürgen, Achim, Mario (den Jana nicht kennt), Etti, Meinhart, Thomas, Carsten, Conny, Fritten, die Delmenhorster Piraten, die Piraten Oldenburg-Land, Ole, Katta, Susann, Sandra, Coco - ich kann sie gar nicht alle aufzählen. Dafür sage ich: DANKE. Danke an Chris, daß du damals den Schritt getan hast. Und danke an alle, die den Job im Lavo gemacht haben oder einfach immer noch machen.

Nun soll ich ein Grußwort schreiben, einen Text darüber, wie man unsere Politik vom großen auf die kleine, kommunale Ebene herunterbricht. Darüber, wie weit man mit unseren Ansätzen von Transparenz, Bürgerbeteiligung, Teilhabe und Datenschutz in der Kommune kommt.

Kommunalpolitik ist anders. Anders als die "große" Politik, die wir alle aus den Parlamenten, sei es Landtag, Bundestag oder Europaparlament kennen. Hier auf der kommunalen Ebene läuft viel mehr über persönliche Kontakte und Fraktionsübergreifend. Wir als Piraten aus Delmenhorst können seit der letzten Kommunalwahl 2011 eine Fraktion mit zwei Mitgliedern stellen, Florian Beyer und ich. Wobei Florian ein gutes Jahr Vorsprung hat, weil ich erst im Jahr 2012 nachgerückt bin.

Die Arbeit in einer kleinen Fraktion ist intensiv und zeitraubend. So haben wir nicht nur neun Fachausschüsse zu besetzen, sondern auch alle zusätzlichen Termine, wie z.B. interfraktionelle Gespräche, Einladungen zu Empfängen u.ä., Vorbesprechungen und Fraktionssitzungen warzunehmen. Dieses bedeutet für jeden von uns einen Aufwand von mindestens 10h in der Woche. Neben der normalen beruflichen Tätigkeit - und bei den Haushaltsberatungen fällt locker das Doppelte an Zeit an. Sollen dann noch regelmäßig sinnvolle, gut ausgearbeitete und recherchierte Anträge gestellt werden, dann kann sich jeder selber ausdenken wo die Zeit bleibt.

Trotz allem probieren wir, unsere Grundsätze der Politik zu leben. So haben wir z.B. seit Beginn der Legislaturperiode allen Anfragen auf eine Gruppenbildung konsequent eine Absage erteilt. Warum? Weil wir Vereinbarungen treffen müssten, die unsere Auffassung von sachorientierter, ideologiefreier Politik ein enges Korsett aufgezwungen hätten. Wir sind die einzige Fraktion ohne Fraktionszwang und stimmen auch dann und wann mal getrennt ab. Das ist für uns hier kein Problem, für einen Gruppenpartner wäre es das aber. Und ich denke, wir sind bisher gut damit gefahren so zu agieren.

Ebenfalls sind wir die erste Fraktion gewesen, die konsequent alle ihre Fraktionssitzungen öffentlich abhält. Wenn wir uns Montags um 18:30 Uhr in der "Bay" in der Schulstrasse treffen, dann sind die Türen buchstäblich offen und jeder ist uns willkommen. Inzwischen konnten wir eine Menge Gäste auf unseren Sitzungen begrüssen. Am 28.07. werden wir dieses auf eine neue Ebene heben und unsere erste Open-Air Fraktionssitzung auf dem Marktplatz abhalten. Das ist für uns gelebte Transparenz.

Durch unser Engagement in der Bürger-Ideen-Börse , unsere Unterstützung des "Open-Antrag" Projekts und unsere monatlichen Infostände in der Stadtmitte probieren wir, die Anregungen aus der Bevölkerung direkt in unsere Politik einfliessen zu lassen. Wir haben hier schon einige Vorschläge in Antragsform gegossen und es auch erreicht, hier einen Beschluss des Rates herbei zu führen. Auch das ist ein Baustein der Piratenpolitik vor Ort.

Ein weiteres, gerade mir sehr wichtiges, Thema ist der Datenschutz. Und gerade hier konnten wir ebenfalls bereits einige Marken setzen. Sei es das Thema "Sozialdatenschutz" oder auch der Schutz persönlicher Daten im Internet - hier ist unsere Expertise unbestritten und wir werden häufig um Stellungnahme gebeten, wenn es im Rat um IT und Datenschutz geht. Dabei sind wir immer objektiv und versuchen Handlungsempfehlungen zu geben.

Teilhabe bedeutet für uns nicht nur finanzielle Teilhabe an der Gesellschaft sondern auch und gerade die Förderung der Inklusionsbemühungen in der Kommune. So haben wir eine ganze Reihe von Anträgen mit Inklusionshintergrund gestellt, u.a. die Ausweisung von barrierefreien Kindergärten oder die Installation von Spielgeräten für behinderte Kinder auf Spielplätzen. Auch das ein Weg, die großen Themen auf das Lokale herunterzubrechen.

Aber wir mußten auch lernen. Lernen, dass Transparenz da Grenzen hat, wo es andere zu schützen gilt. Und auch, dass es Absprachen geben muß, an die man sich hält. Auch auf kommunaler Ebene gilt: "Wer Politik 2.0 machen will, muß Politik 1.0 beherrschen." Das sollten wir alle für die nächsten Jahre beherzigen.

In diesem Sinne: Ich freue mich auf die nächsten Jahre Politik mit den Piraten in Niedersachsen. Egal an welcher Stelle oder in welchem Amt. Ich werde meinen Part abarbeiten. Wie bisher auch schon.

Freitag, 6. Juni 2014

Ich hab' den Kaffee auf

(c) http://www.claudiagrundei.de/
Lieber Axel,

ich habe vor kurzem einen neuen Spruch gelernt: "Ich hab' den Kaffee auf". Und er beschreibt tatsächlich meine momentane Gemütslage sehr gut. 

Was ist passiert? Nun, die Skaterbahn n Delmenhorst ist fertig, alles freut sich, nur der kleine Provinzpolitiker wundert und fragt sich, "Hmm, haben wir denn nicht beschlossen, die Bahn zu vergrössern? Merkwürdig." Also fängt der Provinzpolitiker an zu recherchieren und findet tasächlich einen entsprechenden Beschluss im Ratsinformationssystem. "Das solten wir doch mal klären", denkt er sich und stellt eine Anfrage an die Verwaltung. Und bevor er überhaupt die offizielle Antwort in den Händen hält, darf er dieses in der Zeitung lesen: 


"... Eine weitere Befassung mit dem Thema hat es nie gegeben, wie auch der Erste Stadtrat Gerd Linderkamp bestätigt. „Wir als Verwaltung wurden damals von der Politik gebeten, mit den Skatern zu reden, was sie wollen. Ihnen war vor allem wichtig, neuere und bessere Geräte zu kommen. Auf dieser Grundlage haben wir gesagt, dass wir es dann so machen, wie es jetzt gemacht wurde.“ Zudem habe der Ausschuss eh nichts beschlossen, klärt Linderkamp auf. Die Fachausschüsse sprechen nur Empfehlungen aus, sie beschließen nicht. Dementsprechend war das Votum für die Verwaltung nicht bindend."
Nun, es wäre also ja zuerst einmal zu klären, mit wem denn die Verwaltung da überhaupt gesprochen hat. Wer sind denn "die Skater", haben die eine Skaterhauptversammlung abgehalten? Diese und andere Fragen stellen sich mir da, aber darum soll es hier nicht gehen. 

Mir geht es um die Art und Weise wie hier in der Stadt mit den Beschlüssen der legitimierten Volksvertretung umgegangen wird und - wie hier allgemein mit den Anliegen der Bürger verfahren wird.

Sehen wir uns doch den oben angeführten Vorgang noch einmal an. Da wird also im Fachausschuss ein Beschluss gefasst. Nun ist es sicherlich richtig, dass der Fachausschuss keine bindenden Beschlüsse fassen darf, zu der damaligen Zeit wurde es aber durchaus noch so gehandhabt, dass der Planungsausschuss endgültige Beschlüsse gefasst hat. Dieser Zustand wurde erst im letzten Jahr geändert.

Nun haben wir also eine Entscheidung, die der Verwaltung nicht gefällt. Ähnlich wie auch bei der Öffnung der Gräben in der Graft oder die Wiederaufnahme der Grundwasserförderung. Was wird also getan? Hier wird geblockt, rochiert, auf Zeit gespielt oder - einfach nichts. Denn, wenn denn die Verwaltung der Auffassung ist, dass der Planungsausschuss gemeinsam mit dem Umweltausschuss keine rechtlich bindenden Beschlüsse fassen kann, dann kann es doch nur einen Weg geben, um hier Klarheit herzustellen: Die Vorlage muß in den Verwaltungsausschuss und danach in den Rat. Genauso wie hunderte anderer Vorlagen pro Jahr auch.

Aber da es sich ja hier um eine ungeliebte Vorlage handelt, wird sie einfach unter den Tisch fallen gelassen. Oder es werden Spitzfindigkeiten ausgegraben, wie im letzten Jahr mit dem Ratsbeschluss, dass die Stadt nur noch Ökostrom beziehen möge. 

Am Ende bleibt bei der Politik der Eindruck, dass man beschliessen kann, was man will, wenn die Verwaltung etwas nicht will, dann passiert das nicht.

Lieber Axel, das kann nicht sein. Wir haben in Deutschland aus gutem Grund die Gewaltentrennung in der Verfassung festgelegt. Und was im Grossen gilt, das gilt auch und gerade auch für Delmenhorst. Wir wollen nicht mehr immer hören, was nicht geht. Wir wollen Problemlösungsansätze erarbeiten und erwarten dann, dass sie einfach auch umgesetzt werden. Das ist die Aufgabe einer städtischen Verwaltung. 

Lieber Axel, du hast, verdient, einen großen Vertrauensbonus vom Wähler mitbekommen. Lass uns gemeinsam diesen störrischen Apparat wieder auf die Spur setzen. Politik ist keine Laienbeschäftigung, auch wenn es vielen Beamten  und Angestellten im öffentlichen Dienst häufig so vor kommt, Politik ist die Vertretung der Bevölkerung, der zu Verwaltenden, dem Arbeitgeber. Und auch wenn es manchmal schwerfällt, uns allen, die Entscheidungen der Politik sind umzusetzen.

Und jetzt trinke ich meinen Kaffee

Viele, liebe Grüße

Andreas Neugebauer

Freitag, 9. Mai 2014

Sind wir noch Politikfähig?

Sind wir noch Politikfähig?
Eine kritische Bestandsaufnahme unseres Landesverbands.

Zum ersten Mal in der Geschichte des Landesverbands haben wir im Februar in Norden ein Vorstandsamt besetzt, das explizit politisch definiert ist: den politischen Geschäftsführer. Drei Monate später möchte ich diese Gelegenheit nutzen um den aktuellen politischen Zustand unseres Landesverbands kritisch zu beleuchten.

Was heißt überhaupt “Politik” und wie definiert sich die Fähigkeit, Politik zu machen?

Wir sollten an dieser Stelle zuerst definieren, was Politik eigentlich bedeutet. Die Wikipedia sagt uns hierzu:
“Das Wort Politik bezeichnet sämtliche Institutionen, Prozesse, Praktiken und Inhalte, die die Einrichtung und Steuerung von Staat und Gesellschaft im Ganzen betreffen.
In der Politikwissenschaft hat sich allgemein die Überzeugung durchgesetzt, dass Politik „die Gesamtheit aller Interaktionen definiert, die auf die autoritative [durch eine anerkannte Gewalt allgemein verbindliche] Verteilung von Werten [materielle wie Geld oder nicht-materielle wie Demokratie] abzielen“.[1] Politisches Handeln kann durch folgenden Merksatz charakterisiert werden: „Soziales Handeln, das auf Entscheidungen und Steuerungsmechanismen ausgerichtet ist, die allgemein verbindlich sind und das Zusammenleben von Menschen regeln“.[2]

Die Kernbegriffe sind für mich hier: “Handeln, Entscheiden und Steuern”. Politisch tätig zu sein bedeutet also am Ende: zu Handeln, zu Entscheiden und zu Steuern. Und das sowohl nach Innen, also innerhalb der Partei, wie auch nach Außen, in die Gesellschaft hinein.

Wenn wir diese drei Felder einmal aufdröseln wollen:

Steuern - Hier geht es unter anderem darum, Themen aus der Gesellschaft oder auch aus der Aktualität heraus, aufzugreifen, zu bewerten, zu besetzen und letztendlich den Kurs der Partei und der Gesellschaft zu steuern. Betrachten wir dieses aus dem innerparteilichen Blickwinkel, so sollten wir zuerst einmal die interne Diskussion innerhalb der Partei bewerten. Dieses ist insofern unabdingbar, als dass ja jegliche Wirkung nach Außen zwingend einen Konsens innerhalb der Partei erfordert, soll das mögliche Ergebnis nicht durch einen folgenden, innerparteilichen “Shitstorm” konterkariert werden.

Diskussionen über Themen finden bei den Piraten traditionell über die Mailinglisten, innerhalb der politischen AGs oder auch mal über Twitter statt. Hier werden die (in der Idealvorstellung) die Themen, die die Partei besetzen will, diskutiert, konsensfähig gemacht und danach auf Mitgliederversammlungen oder Parteitagen verbindlich beschlossen und in die Gesellschaft getragen.

Auf der Hauptmailingliste der Piraten in der Niedersachen “pirates.de.region.ni.misc” gab es in den letzten drei Monaten 1561 Nachrichten. Davon waren ungefähr 30-35 mit politischen Inhalt. Zum Vergleich hatte ein Thread über einen Drucker in Hildesheim 54 Nachrichten. D.h. ungefähr 2-3% aller Mails auf der Hauptliste in Niedersachsen waren im weitesten Sinne politisch.
Politische AGs gab es in der Vergangenheit einige im Landesverband, beispielsweise seien hier die AG Bildung, die AG Tierschutz oder auch die Anti-Atompiraten genannt. Im Wiki werden aktuell 14 AGs aufgeführt. Von diesen hat allerdings nur die AG Tierschutz (http://wiki.piratenpartei.de/NDS:AG_Landwirtschaft_Tierschutz_Ern%C3%A4hrung_Verbraucherschutz) einen aktuellen Status. Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass sich der politische Geschäftsführer des Landesverbands zum Ziel gesetzt hat, die AGs wieder zu beleben. Man darf gespannt sein.
Diskussionen auf Twitter können bestenfalls dem kurzen Austausch von Standpunkten dienen, eine inhaltliche Arbeit kann hier per Definition nicht stattfinden, daher können die Statements hier vernachlässigt werden.
Bliebe als letzten Medium der inhaltlichen Arbeit des Treffen im sogenannten Real-Life, also direkt vor Ort. Hier gab es nach ausgiebigen Studium der Vorstandsprotokolle und der Listen nur das kommunalpolitische Arbeitstreffen in Delmenhorst. Ein weiteres Treffen ist an diesem Wochenende in Oldenburg geplant, inhaltliche Impulse sind hier aber eher nicht erwarten, weil es hier nicht darum geht.

Halten wir also fest: Das Handlungsfeld “Steuern” findet parteiintern zur Zeit nicht statt und wird auch weder von der Führungsebene noch von der Basis gefördert oder auch nur eingefordert.

Kann eine Partei, die innerparteilich keinerlei politische Arbeit vorzuweisen hat, überhaupt nach aussen wirken?

Sofern es um unsere Kernthemen wie Bürgerrechte, Datenschutz oder Teilhabe geht könnte die Partei auch aus dem Bestand heraus agieren, ohne hier vorher innerparteilich diskutieren zu müssen. Das wird auch durch eine der wenigen arbeitenden AGs, der AG Presse, beharrlich probiert. Leider stehen die sich engagierenden Piraten einem starken Desinteresse der Medien gegenüber, da wir hier nur auf Ereignisse reagieren können, nicht aber Agendasetting betreiben können. Das liegt in der Natur der Pressearbeit. Es bleibt also festzuhalten, dass die Piraten in Niedersachsen seit der Landtagswahl 2013 faktisch nicht stattfinden. Alle Möglichkeiten der ausserparlamentarischen Arbeit, seien es Demonstrationen, Zusammenarbeit mit NGOs oder auch mit Bürgerinitiativen (hier sei auf diesen Artikel hingewiesen: http://provinzpirat.blogspot.de/2014/01/unser-weg-fur-2014-ein-vorschlag-fur.html) werden nicht andiskutiert oder angestossen.

Entscheiden. Das nächste Feld der Politik ist es, Entscheidungen zu treffen. Hier ist naturgemäß der Landesvorstand gefordert, ist er doch das einzige Gremium, dass befugt ist, ausserhalb der Mitgliederversammlungen Entscheidungen zu treffen. Auf den bisher im Wiki verlinkten Protokolle der letzten drei Monate (http://wiki.piratenpartei.de/NDS:Vorstand/Protokolle) ist nicht ein einziger Beschluss zu einem politischen Thema zu finden. Einzig die zur Verwaltung eines Landesverbands zu fassenden Entscheidungen werden, häufig nach mehrfacher Vertagung, getroffen. Auch hier läuft das politische Amt komplett ins Leere.

Entscheidungen, die in die Gesellschaft eingreifen können zur Zeit die ca. 40 verbliebenen kommunalen Mandatsträger der Piratenpartei in Niedersachsen treffen. Hier sind zur Zeit noch drei reine Piratenfraktionen (Braunschweig, Wolfsburg und Delmenhorst) intakt und am arbeiten, hinzu kommen diverse Einzelvertreter in den verschiedenen kommunalen Parlamenten, die zum Teil mit Vertretern anderer Parteien Gruppen bilden. (http://www.kommunalpiraten.de/). Hier wird zum größten Teil gute und wirkungsvolle Arbeit geleistet. Dieses allerdings nach wie vor ohne die zwingend notwendige Vernetzung der Mandatsträger. Hier wird allerdings nach und nach Abhilfe geschaffen, als Beispiel sei hier das Antragsarchiv unter http://antragsarchiv.kommunalpiraten.de/ genannt. Werden die Grundlagen, die auf dem zweiten Arbeitstreffen der Kommunalpiraten gelegt worden sind, aufgenommen und weiterentwickelt könnte in den nächsten Jahren hier eine sinnvollen Arbeitsebene geschaffen werden.
Leider werden die kommunalen Mandatsträger vom Landesvorstand in keiner Weise unterstützt oder gefördert, so dass die teilweise hervorragende Arbeit der Ratsfrauen und -herren mehr der persönlichen Qualität der Abgeordneten und weniger der guten Arbeit des Landesverbands zu danken ist.

Handeln. Die letzte Kernbotschaft der politischen Tätigkeit ist das Handeln. Hier gilt es, die gefundenen Themen und gefassten Beschlüsse umzusetzen. Innerparteilich wäre hier das Schaffen von Strukturen anzusiedeln. Man kann heute ruhigen Gewissens testieren, dass der Landesverband auf der rein verwaltenden Ebene, dem Geschäftsbereich des Generalsekretärs, relativ gut aufgestellt ist. Die Mitgliederverwaltung scheint nach Jahren ohne sinnvolle Prozesse endlich zu funktionieren und auch die Schatzmeisterei macht wenig Sorgen. Auf allen anderen Ebenen gibt es nach wie vor kaum bis keine belastbaren Strukturen. Viele der 2011 und 2012 gegründeten Kreisverbände und Stammtische sind sang- und klanglos eingeschlafen oder handlungsunfähig, ohne dass hier der Wille erkennbar wäre, gegen zu steuern. Das in 2012 eingeführte Sekretariat beim Landesvorstand wurde nicht ausgebaut und auf feste Fundamente gestellt. Es wird in weiten Teilen des Landesverbands nicht mehr gehandelt, agiert, sonder bestenfalls nur noch reagiert.

Handeln nach außen würde zum Beispiel bedeuten Kampagnen zu starten. Zum Beispiel gegen Fracking, für die kommunale Gesundheitsversorgung oder die Zukunft der Hebammen. Handeln würde zum Beispiel auch das Abhalten von thematischen Kongressen, das Organisieren von Demonstrationen zu aktuellen Themen oder das Suchen von Bündnispartnern zum besseren Durchsetzen von Standpunkten oder Anliegen bedeuten. Handeln heißt halt auch irgendwann einfach mal: “Machen statt labern!”.  Auch hier findet einiges auf der lokalen Ebene statt, allerdings auch hier ohne die ordnende und helfende Hand des Landesverbands.

Zusammenfassend kann man sagen, dass unser Landesverband zur Zeit auf allen drei Feldern der Politik, wie oben definiert, nicht in der Lage ist zu agieren sondern bestenfalls reagiert. De Facto sind wir zur Zeit nicht politikfähig. Wie es unter diesen Umständen gelingen soll, in 2016 wenigstens die vorhandenen kommunalen Mandate zu verteidigen, geschweige den auszubauen, wie es gelingen soll, wieder mehr Menschen für unseren Ansatz der Politik zu begeistern oder in 2018 gar in den Landtag einzuziehen ist mir ein Rätsel.

Danke an Roman Grusso der mir heute den Anstoss für diesen Post gegeben hat.