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| Das Hertiegebäude in der Innenstadt von Delmenhorst | 
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Ist die Zeit der Innenstädte vorbei?
Nicht
 nur in Delmenhorst wird seit Jahren über den fortwährenden Rückgang der
 Attraktivität der Innenstadt für die Bürger diskutiert, nein, dieses 
Problem finden wir eigentlich in allen mittelgroßen deutschen Städten [1]. Immer weniger inhabergeführter Fachhandel und fast nur noch große Ketten dominieren inzwischen die Innenstädte. Vielerorts
 werden große Einkaufszentren als Allheilmittel zur Belebung des 
Zentrums errichtet, häufig allerdings tragen diese zur Austrocknung des 
umliegenden Gewerbes bei [2]. Bedroht werden die Innenstädte durch mehrere Faktoren:
1. Die Immobilieneigentümer verlangen zu hohe Mieten.  
Bei qm-Preisen von ca. 14-20 Euro [3]
 kostet schon ein normal großes Geschäft (250-300qm) schnell über 5.000 
Euro Miete im Monat. Diese können gerade für Existenzgründer im 
Einzelhandel kaum erwirtschaftet  werden. Nur große Ketten können sich 
diese Mieten leisten. Da der Leerstand von gewerblich genutzten 
Immobilien zur Zeit noch als Steuersparmodell genutzt werden kann, besteht auch kaum Interesse bei den Vermietern, die Miete zu senken. 
2. Die Läden auf der "grünen Wiese" sind starke Konkurrenz.
Ein Kardinalsfehler der Städteplaner der letzten Jahrzehnte, gerade in  Delmenhorst, war die Genehmigung von zu vielen
 Einkaufszentren auf der  "grünen Wiese". Hier besteht ein eindeutiges 
Überangebot an Verkaufskapazitäten. Dies hat dazu geführt, dass 
Delmenhorst inzwischen die höchste Verkaufsfläche pro Einwohner in 
Deutschland hat. Diese Einkaufszentren an der Peripherie decken 
hervorragend den täglichen Bedarf der Einwohner und der umliegenden 
Gemeinden. Diese Zentren sind gut mit dem Auto zu erreichen und bieten 
große Mengen an kostenlosen Parkplätzen in direkter Nähe an. Gerade für 
die Versorgung mit Lebensmitteln, aber auch mit hochwertigen Gütern, wie
 z.B. Unterhaltungselektronik oder Möbel, ist dies ideal. 
Die Parkplatzsituation in der Innenstadt hingegen ist geprägt von kostenpflichtigen Angeboten, die keine direkte Anbindung an die Geschäfte aufweisen.
3. Amazon hat alles - oder die Bequemlichkeit siegt.
Der
 größte Konkurrent des Einzelhandels ist allerdings das Internet und 
hier insbesondere Amazon oder auch (noch) eBay. Immer mehr Güter des 
täglichen Bedarfs, längst nicht nur Bücher, sondern auch hochwertige 
Lebensmittel, Körperpflegeprodukte oder elektronische Geräte und sogar 
Gartenbedarf kann man teilweise wesentlich günstiger im Internet 
beziehen als im Fachhandel. Die Auswahl ist riesengroß, und fast alle Artikel sind innerhalb von 1-3 Tagen frei Haus lieferbar. Dieser Umstand hat schon einigen alteingesessenen
 Fachhändlern das Genick gebrochen. Hier ist keine Trendwende zu 
erwarten, eher wird das Umsatzvolumen des Handels im Internet weiter 
zunehmen. Langfristig werden auch die großen Zentren am Rande der Stadt 
hiervon beeinflusst werden. 
Eine gewagte These
Die
 Zeit der vielen Geschäfte in den Innenstädten allgemein und in 
Delmenhorst speziell ist vorbei. Daran wird langfristig auch eine 
(wünschenswerte) Re-Vitalisierung des Hertiekomplexes nichts ändern. Im 
Gegenteil: Die
 Mieten dürften durch eine erfolgreiche Neu-Eröffnung eher steigen als 
sinken. Wir sollten uns mit dem Gedanken anfreunden, dass wir mittel- 
bis langfristig kein im bisherigen Sinne florierendes  Stadtzentrum mehr
 bekommen werden. Die Lebenswirklichkeit der Einwohner unserer Stadt hat
 sich in den letzten 20 Jahren entscheidend verändert, und durch den immer stärker werdenden Einfluss des Internets auf alle Lebensbereiche wird dieser Trend eher noch zunehmen.
Was machen wir also mit dem Stadtzentrum?
Natürlich
 sind den Kommunalpolitikern hier zum größten Teil die Hände gebunden.  
Die Immobilien in der Innenstadt sind zum allergrößten Teil in privater 
Hand. Aber zu wissen, was nicht funktionieren wird und was man tun könnte,
 ist häufig der erste Schritt zu langfristigen Veränderungen. Zum 
Beispiel gab es "früher" in der Delmenhorster Innenstadt eine 
funktionierende Kneipen- und Discoszene [4] . Heute ist hiervon kaum noch etwas übrig geblieben. Hier könnte man gut ansetzen und probieren, wieder eine "Szene" zu etablieren. Eine schöne Meile mit Cafés, Restaurants, Kneipen und der einen oder anderen Disco würde viele Menschen in Delmenhorst ansprechen.
Ein
 weiterer Ansatzpunkt wäre die Umgestaltung von Geschäfts- zu Wohnraum, 
wie es gerade im alten Selvegebäude geschehen ist. Durch die Erstellung 
von altersgerechten 
 Wohnungen in zentraler Lage könnten die heute teilweise seit Jahren 
leerstehenden Gebäude wieder einer vernünftigen Nutzung zugeführt 
werden. Und wenn in der Innenstadt wieder mehr gewohnt wird, lohnt sich 
auch die Eröffnung von Lebensmittelgeschäften wieder.