Infostand zur Kommunalwahl 2011 |
Nach ganz vielen, teilweise an der Grenze des Erträglichen liegenden Blogposts von Menschen, die beschlossen haben zu gehen, möchte ich hier einmal etwas Positives beitragen und schreiben warum ich bleibe. Und um das zu erläutern, werde ich einmal ein wenig weiter ausholen.
1988 bin ich, einem mehr oder weniger spontanen Entschluss folgend, in die SPD eingetreten um endlich etwas gegen die Koalition der "geistig-moralischen Wende" zu tun, deren Auswirkungen wie ein schwerer, bleierner Teppich auf der gesamten Gesellschaft lagen. Anfangs ein wenig misstrauisch beäugt, wurde ich dann relativ schnell akzeptiertes Mitglied meines Ortsvereins und des Unterbezirks in Delmenhorst. Delegationen und Ämter wurden einem auf der untersten, Ortsvereinsebene relativ schnell angetragen und 1991 habe ich das erste Mal für den Delmenhorster Stadtrat kandidiert.
Plakate zur Bundestagswahl 2009 |
Wollte man sich allerdings ein wenig weiter "entwickeln" und auf der höheren Ebene anklopfen, schlug einem schnell das wahre Gesicht der hier Engagierten entgegen. Denn tatsächlich ist das, was nach außen die mitfühlenden Sozialdemokraten mimt, in Wahrheit eine Schlangengrube von persönlichen Interessen, Seilschaften, ausgeküngelten "Proporz" und macht selbst vor den schmutzigsten politischen Tricks nicht halt. Intern. Hinter den verschlossenen Türen. Was mich immer wieder verwundert hat, ist, dass mit dem politischen Gegner, sei es die CDU, die FDP oder all' die anderen, fairer umgegangen wird, als mit den eigenen Mitgliedern.
Nach der Geburt meiner Tochter 1995 habe ich mich dann aus der aktiven Politik zurückgezogen und bin dann während der Schröderära vollkommen desillusioniert auch aus der SPD ausgetreten. Die unsäglichen Hartz-Reformen, das aus dem propagierten "Fordern und Fördern" eine Verwaltung des Notstands geworden ist, all das konnte und wollte ich nicht mehr vertreten müssen.
2006 konnte ich dann, ich denke es war auf GOLEM, von der Gründung der Piratenpartei in Deutschland lesen. Interessanter Ansatz, dachte ich mir seinerzeit, aber damals konnte ich mir eine Mitarbeit eher nicht vorstellen, zu Abstrakt und zu weit weg schien mir das ganze zu sein. Eher sympathisierte ich zur der Zeit mit der 2007 gegründeten Linkspartei. Das Programm war ansprechend, allerdings war der Umgang untereinander offensichtlich noch unterirdischer als bei der SPD. Also war ausser Schnuppern tatsächlich nichts gewesen.
Mein nächste Kontakt zur Piratenpartei war dann zur Europawahl 2009. Die stehen auf dem Wahlzettel! Die gibt es immer noch! Die wähle ich! Das waren die Gedanken in der Wahlkabine, als ich meinen Wahlzettel betrachtete, unschlüssig, welchem Elend ich meine Stimme geben soll. Und gleich danach habe ich mich zu Hause informiert und die ersten Kontakte geknüpft.
LPTNDS 2009 in Langenhagen |
Die Themen wie Transparenz, Bürgerbeteiligung, die Zensursula Sache, das mit dem Postgender, der freiheitliche, liberale Ansatz, die Mitmachpartei - alles das waren Dinge, die mir aus dem Herzen sprachen. Die Ablehnung einer Quote - genau das war der richtige Weg.
Seinerzeit gab es in Oldenburg und Bremen aktive Piraten und am 11.09.2009 konnten wir unseren ersten Stammtisch in Delmenhorst mit über 10 Interessierten abhalten und seit dem Tag bin ich Pirat. Diese Partei war etwas, was einen hineinzog wie ein Strudel. Und durch den "machen statt labern" Ansatz konnten wir hier Dinge verwirklichen, die in anderen Parteien Jahre gedauert hätten - wenn es denn überhaupt möglich gewesen wäre. Schnell fand sich in Delmenhorst ein fester Kern, der, mit einigen Änderungen bis heute aktiv ist. Die Zeit des Aufbaus der Organisation war spannend, aufreibend und teilweise chaotisch, aber immer, wenn man Piraten traf, spürte man eine gewisse Verbundenheit und auch an den rauen Ton auf den Mailinglisten oder bei Twitter gewöhnte man sich rasch. Wer seinen ersten richtigen Shitstorm überlebt hat, den erschüttert so schnell nichts mehr.
LPTNDS 2011 in Delmenhorst |
Einer unserer Höhepunkte war der erste Landesparteitag, den wir in Delmenhorst 2011 abhalten durften. Hier im com.media tagen zu dürfen, davon reden die "alten" Piraten in Delmenhorst heute noch. Wir haben seinerzeit "Big" Arne Hattendorf zum Landesvorsitzenden gewählt, meinen Vorgänger. Da habe ich zu der Zeit überhaupt nicht drüber nachgedacht. An unserem Programm haben wir gefeilt und am Ende alle zusammen abgebaut. Und dieses "Zusammen" prägt für mich bis heute diese Partei. Es gab damals noch nicht diese "Gate" Kultur, wie sie uns in den beiden folgenden Jahren das Leben schwer machen sollte und einen manchmal fast an der Partei verzweifeln ließ. Bei der folgenden Kommunalwahl konnten wir dann unser erstes großes Ziel erreichen und mit 4,7% der Stimmen in Fraktionsstärke in den Stadtrat einziehen.
Im folgenden Jahr hatte ich dann im Landesvorstand unter anderem die Aufgabe die Landtagswahl 2012 vorzubereiten. Und wenn ich je daran gedacht habe, diese Partei zu verlassen, dann war es zu der Zeit. Der Mitgliederboom 2011/12 hatte uns eine Menge von "schwierigen" Personen in den Landesverband gespült, man hatte (und ich denke das heute noch) teilweise den Verdacht, dass hier absichtlich Leute geschickt worden um uns zu schaden. Teilweise habe ich nächtelang nicht geschlafen, so hat mich die Sache um die gescheiterten Aufstellungsversammlungen in Nienburg und in Wolfenbüttel mitgenommen.
Wahlplakat zur Bundestagswahl 2013 |
An manchen Tagen haben Thomas und ich einfach nur noch "den Job" gemacht, weil es sein musste, nicht weil wir auch nur ansatzweise noch konnten oder wollten. Aber: Wir haben das durchgezogen. Und bei all' dem Gegenwind aus dem Bund (ich möchte nur an die unsäglichen Streitereien um Johannes erinnern) und den selbstgemachten Leiden, haben wir doch einen engagierten Wahlkampf hingelegt und im Nachhinein sieht das Ergebnis heute auch nicht mehr ganz so katastrophal aus.
Aber am Ende haben wir auch diese, schwierige Zeit durchgestanden.
Open Air Plakatieren in Bremerhaven |
Im Dezember 2013 dürften wir dann in Bremen einen neuen Bundesvorstand wählen. Für mich ist dieser Bundesparteitag der Wendepunkt der Parteigeschichte. Wie aus dem Nichts wurde Thorsten für viele völlig überraschend zum Bundesvorsitzenden gewählt. Wer da im Hintergrund die Strippen gezogen hat, sollte sich (für mich) erst viel später zeigen. Mit dieser Entscheidung waren anscheinend gewisse Gruppen innerhalb der Partei der Meinung, sie hätten nun die Oberhand gewonnen. Ausprägungen wie das #flaggengate in Bochum oder auch die Bomber Harris Aktion im Februar waren die sichtbarsten Zeichen, dass hier Pflöcke eingerammt werden sollten und die Piratenpartei stramm auf einen anarchistischen, feministischen, ultralinken ja fast K-Gruppen ähnlichen Kurs gebracht werden. Texte wurden auf einmal gegendert, es wurde von Pirat*innen und jemensch gesprochen. Quoten wurden diskutiert, Posten innerhalb der Peergroup hinter verschlossenen Türen vergeben. Hier stellte sich jetzt für alle gemäßigten Teile der Partei - und das waren zu der Zeit sicherlich 2/3 der Mitglieder - die Frage, wollen wir um unsere freiheitliche Netzpartei kämpfen oder gehen wir.
Da ich inzwischen ein Mandat für die Piraten bekleide und wir, gerade in Delmenhorst, zu viel aufgebaut hatten um es einfach wegzuwerfen, sind wir geblieben und konnten zum Glück in Halle den Kurs der Partei wieder richten. Seitdem hagelt es Blogposts der Plattformer, die gehen und uns bleibenden wahlweise eine rechte Gesinnung, fehlende politische Bildung oder auch Querulantentum vorwerfen. Wir wären unpolitisch und programmatisch würden wir nichts voreinander bekommen. Immerhin wären ja alle programmatischen Impulse der letzten Jahre aus ihren Reihen gekommen.
Da kann ich nur drauf antworten: Klar, wenn auf einem BPT nur 5 Anträge behandelt werden, alle anderen niedergeschrien oder von der (von Plattformern besetzten) Versammlungsleitung nicht aufgerufen werden, dann sind natürlich programmatische Impulse, wie z.B. Weltraumaufzüge oder Zeitreisen, nur von der Peergroup gekommen.
Stadtmesse in Delmenhorst 2011 |
Wird uns dieser Impuls fehlen? Hmm, ja. Ich denke ein Teil unserer Pluralität ist uns abhanden gekommen. Und nicht alle, die jetzt meinten gehen zu müssen, waren Schreihälse oder unverbesserliche Egomanen. Ein Teil der Piraten, die ich auch geschätzt habe, ist jetzt weg. Aber: Wir als Partei gehen gestärkt hervor. Die Marke ist beschädigt, ja, aber nicht zerstört. Ich habe oft gehört, dass, wenn wir unsere Probleme in den Griff bekommen, wir wieder wählbar sind. Wir sind dabei. Wir bekommen das in den Griff. Da bin ich jetzt zuversichtlicher denn je. Wir, die wir bleiben, arbeiten jetzt strukturiert und ruhig an unserer Partei. Überall kommen alte, vergraulte Piraten zurück. Die AG's erwachen wieder zum Leben. Wir sind noch da. Und wir werden wiederkommen. Und deshalb bleibe ich. Weil ich dabei mitmachen möchte. In der Mitmachpartei.